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Mittwoch, 4. Oktober 2006

Altes von Tricksern

Lipstick Traces und was man daraus lernen kann: Baumeisters/Negators Einführung in die Theorie der Situationistischen Internationale

Bild 298

Man wird dem Resort nichts Neues erzählen, bringt man zum Ausdruck, unter jungen Leuten sei derzeit eine auf die Musik ihrer Eltern oder großen Schwestern Bezug nehmende Musik nicht ganz unangesagt und wer außer denen, die beim ersten Mal schon dabei gewesen waren und die die mangelnde Kenntnis der Originalstücke bekritteln, würde es ihnen verübeln wollen, das war auch klasse Musik.

Bei linker Theorie ist es irgendwie genau umgekehrt: derzeit eher out, dafür ist es nie ein Schaden, wenn man ein paar alte Schriften des Dagegenseins gelesen hat, um nicht die selben Fehler noch einmal zu machen. Es muss ja nun nicht unbedingt wieder die Maobibel sein, die in den Gesäßtaschen der Menschen mit den besseren Frisuren steckt, Mutter Erde ist mit uns seither ja doch ein paar Runden durchs All gerast und auch sonst sind zwo, dro Sachen passiert in der Zwischenzeit. Aber gerade wenn es allgemeiner Konsens wird, dass sämtliche linke Projekte leider nicht funktioniert haben und also nie funktionieren können, weil der Mensch halt eben nicht für den Communismus geschaffen ist und man also nichts tun kann, tut man gut daran, zu tun, was man tun kann: erstmal nachlesen und dann im nächsten Kneipenstreit die besseren Argumente haben. Es ist ja nicht so, dass sich nicht schon frühere Generationen vor dem sich Gebärden als Naturgesetz der bösen Maschine aka Kapitalismus die Zähne ausgebissen hätten, das vielfach noch nicht einmal die Denkmöglichkeit einer anderen Welt erlaubt.

Von eben den Zwängen, deren Abschaffung sein Projekt ist, geknechtet in das, was so schön prekäre Verhältnisse zu nennen wir uns brav angewöhnt haben, hat der junge Mensch natürlich auch nicht so viel Zeit, alles im Original nachzulesen und zu verstehen. Zum guten Glück ist das aber gar nicht mehr nötig: Die im Schmetterling Verlag erscheinende Reihe theorie.org bietet kompakte Einführungen in wesentliche Strömungen linken Denkens.

Der von Biene Baumeister und Zwi Negator verfasste Beitrag zu Situationistischer Revolutionstheorie umfasst nicht weniger als zwei Bände (von denen der Rezensent nur den ersten teilweise gelesen hat) plus einem umfangreichen Anmerkungsapparat im Netz und überzeugt dabei nachdem man sich erst einmal an den feierlich-ernsten Ton gewöhnt hat sowohl durch die (relativ leicht) verständliche Aufbereitung des von Guy Debord u.a. in den 50ern entwickelten Theorieapparats als auch durch die Überlegungen der situationistischen Bewegung selbst, die, wie wir ja alle wissen, nicht nur maßgeblichen Einfluss auf Dinge wie '68 oder Punk ausübten, sondern auch einen wohl zu Unrecht fast vergessenen Versuch darstellen, eine fundamentale Kapitalismuskritik vor der Folie einer heraufziehenden Mediengesellschaft mit der Erfahrung der Vereinnehmbarkeit und dem Vereinnehmen aller Oppositionen zu diesem System durch ebendieses zusammen zu denken, ohne sich in Esoterik oder Reaktion zu flüchten. Von hier oder einer ähnlichen Stelle aus könnten wir dann weiterdenken.

Biene Baumeister & Zwi Negator: Situationistische Revolutionstheorie. Eine Aneignung. theorie.org, Schmetterling Verlag, Stuttgart, 2005

Donnerstag, 25. Mai 2006

daher der kopfschmerz

nachwuchs in der suhrkamppoptrias

Bild 009

mit der literatur im allgemeinen nun einmal eigenen schnelligkeit war damals, wie sie alle wissen, auch suhrkamp auf die p-wort-welle aufgesprungen und hatte flugs kanonisiert, was eben nicht lediglich kinderkram über oasis, herzscheiße und essbrechsucht war. weil nun leider nicht alles immer bleiben kann, wie es ist, gibt es neben sehr empfindsam alltagsbeobachteten wenderomanen, die macht der sprache fühlenden autobiographischen prosalangtexten von frauen aus ehemaligen sozialistischen diktaturen südosteuropas und dem dreieck geotz-neumeister-meinecke auch iris hanika.

in musik für flughäfen (jaha, zitat erkannt, bitte wieder setzen) verhandelt hanika (*62) so in etwa die handelsübliche befindlichkeit, die man halt so zu haben hat als junger mensch in einer deutschen großstadt, der lebensaltersmäßig eigentlich erwachsen, aber eigentlich mehr so satc-jugendlich ist. ein paar gute oneliner entschlüpfen da den kurztexten natürlich fast zwangsläufig und irgendwie ginge das schon auch ein klein wenig im guten sinn über den klassischen, allgemein verfügbaren antvillesound hinaus, schielten nicht doch ab und an ein paar blöde metaphern und andere literarizitätssignale nach e (so dann also im schlechten sinn).

nun kann man einen hang zum anachronistischen formen ja noch entschuldigen, aber es gibt dummerweise immer noch die inhaltsebene. neben nebensächlichem und diskursarchivierung (als reichte das noch nicht) hat sich da nämlich gift ins kraut gemogelt: dass hanikas icherzählerinnen ausschließlich im nachspielenden zitat des verlassenwerdenschmerzs bestehen können, kann man freundlich gestimmt zwar auch als kritik via überaffirmation des baldrians fürs volk lesen, aber einfach affirmativ auch. als gäbe es die von christiane rösinger entwickelte (und hanika bekannte) neue bitterkeit nicht, wird traumprinzen ironisch nachgeweint, dass es eine art hat, um es mal mit thomas mann zu sagen. naja.

irgendwie bleibt dann nach dem heftchen (wenigstens nicht lang) das gefühl, dass genau das nicht gemeint war damals mit der p-wort-literatur. geben muss es das natürlich trotzdem oder deswegen, man liest ja immer noch lieber weblogtexte als literaturhausliteratur, auch wenn sie blöd sind.

iris hanika

iris hanika: musik für flughäfen, edition suhrkamp, 123 seiten

Dienstag, 18. April 2006

...

Was haben Sie gelesen, wenn Sie sich nach der Lektüre eines Buches fragen: "Musste das jetzt wirklich sein"?
Thomas Mann - Der Zauberberg.
Aber es musste eben sein.

Mittwoch, 12. April 2006

diese schmerzen musst du tragen

komm mit in den wald: ruth schweikerts zweiter roman "ohio"



dem sich in der schönheit des walds aus zeichen eines romans verlaufen habenden rezensenten empfiehlt sich stets, das leere worddokument mit den mystik-art-rockern tocotronic zu bekämpfen. und siehe da: „im blick zurück entstehen die dinge / im blick nach vorn entsteht das glück“.

im blick zurück entstand ruth schweikerts fragmentbeziehungsfamilienroman ohio mit der frage, wie und womit es angefangen habe. von dort führen kleine fetzen der erinnerung entlang schmaler waldpfade durch drei generationen familiengeschichte und ein jahrhundert zentraleuropäischer diskurse ins leere, zu lichtungen, verzweigen sich und kreuzen sich dann, bis merete und andreas im hotelzimmer in durban vergeblich die scherben eines gemeinsamen lebens zusammenzusetzen versuchen. und durch dieses dickicht muss die leserin schon selber finden.

am waldesrand stehen unter den hohen bäumen beispielsbeziehungskonzepte, dylansongs und erinnerungsdekonstruktion auch zarte gewächse, wie der ursprung des romans, von dem aus die autorin "den dingen nachgeschrieben" (schweikert) hat: andreas großvater ruft andreas in durban von celerina aus an, um ihn zu fragen, ob er wisse, wo er seinen lottoschein hingelegt haben könnte, andreas schreibt merete ein sms, dass die kinder fleisch- statt tomatensoße wollen, merete deckt ihre ewig halbfertige dissertation über klees zerschnitte bilder mit einem alten leintuch zu, damit sie nicht verstaubt.

am ende stehen im blick zurück dann so 11, 12, 13 prozent erleichterung, weil diese Geschichte abgeschlossen ist, wenn sie auch nicht restlos erzählt werden kann. das ist auch der vorteil von literatur: anders als das leben geht es nicht immer weiter. so kann man diese monströse impertinenz, "dass man die stimme erhebt über andere" (heckmanns), diese "sonderbare verhaltensstörung" (sebald) rechtfertigen, im blick zurück. im blick nach vorn entsteht das glück: ohio, endlose maisfelder.

ruth schweikert: ohio, ammann, zürich, 2005, 215 seiten

Mittwoch, 8. März 2006

allright, frierkids?

liebe und freiheit sind die zwei worte, für die wir noch längst nicht bereit sind



ein schimpf- und schandlied auf das versagen der gesellschaftlichen innovationsbestrebungen des vergangenen jahrhunderts zu singen war/ist unter anderem ja auch ein anliegen von autoren, die unter anderem auch die für den einen oder anderen content contribiutor dieses resorts nicht völlig einflusslosesten texte verfassten (das resort berichtete). andrea rothaug erzählt ihren debutroman "frierkind" also sozusagen aus dem gemachten bett heraus: aber 68er-bashing lesen - ja bitte.

andrea rothaug, jahrgang '65, hat so viel streetcredibility, da können bleiche französische informatiker ihr geburtsjahr fälschen wie sie wollen und müssen trotzdem einpacken. wenn der papierform nach wer dem nonkonformismus ein atonales requiem singen darf, dann sie.

und genauso ist es dann auch: holly, so was wie hhs szenequeen, arty und befreit bis dorthinaus, und ihr blödes urbanes pennerumfeld machen dem protagonisten unseres kleinen bildungsromans, max tinker, das leben zur hölle. max tinker durfte schon immer alles, außer konventionen einzuhalten. klar, dass da dem klischee entsprechend ein pedantischer psychopath herauskommt, unfähig zu allen menschlichen regungen und vor allem zur liebe. max tinker liebt seine ticks, schmutz, rotz, dreck und onanie. [ein kleiner nebensatzsexismus könnte jetzt erwähnen, wie verblüffend gut rothaug die hormonellen nöte ihres antihelden (nebensatzsexismen zucken nicht mit der wimper, wenn sie "antiheld" schreiben) beschreibt, der eigentliche text verkneift sich das mal.]

dann kommt auch noch ein mädchen ins spiel. eine art "kevin blechdom oder gustav meets the swan"-figur führt den armen tinker in die geheimnisse menschlicher wärme und nähe ein, ist zum guten glück aber selbst kaputt genug, um ihm auch gerade noch genug weh zu tun, als dass die kitschszenen zu zahlreich zum störungsfreien überblättern wären. in den manigfaltigen nebenfiguren und ihren blöden kunstprojekten dürfen sich dann wohl rothaugs künstlerfreunde wiederfinden.

schwer zu sagen, warum man den aus frustration über seine blöden hippieeltern kleintierfickenden tinker und seine popkulturzitatgewürzte boy-meets-girl-story nicht entnervt als ungelungene übersetzung der vorbilder zur seite legt. es liest sich eben gut. ist irgendwie gut. man denkt sich immer, eigentlich müßte ich das hassen, aber die darf das. vielleicht ist es die popsongausmaße annehmende leitmotivik. vielleicht diese sprache (normalerweise todesstrafe), diese ellipsen (normalerweise todesstrafe), diese, wehe wer lacht, poesie (normalerweise besonders grausamer tod, als könnte sprache mehr, als sie kann). die fast zum normalerweise ebenfalls mit todesstrafe belegten kapitalverbrechen der primärtextstilimition durch die kritik verführen könnte. fast nur. nicht ganz. peinlichkeit, nicht notwendigkeit.

höchstwahrscheinlich ist es aber auch nur, dass max tinker in seiner freizeit bret easton ellis liest.

andrea rothaug: frierkind, eichborn, frankfurt a.m., 2005, 243 seiten

Donnerstag, 2. März 2006

freiheit aus einem männermund

"i can play the drums in a band too"



die musikjournalistin kerstin grether erinnert in ihrem im hamburger urbanen-penner-millieu spielenden debutroman über die sichs fürs gesangscasting kaputthungernde komikzeichnerin sonja daran, dass feminismus nicht nur das zweitlästigste kneipenstreitthema nach nazikram ist.

wenn man bei der geburt das physische geschlecht mit den zwei verschiedenen buchstaben zugeschrieben bekommen hat und deswegen, so gut man eben kann, auch das dazugehörige soziale nachspielen muss, kann man zu manchen büchern leider fast nichts sagen. aufgrund der vorteile in 99% aller anderen lebensbereiche kann und will man darüber auch nicht weiter klagen.

kerstin grether hat jedenfalls zwei gleiche chromosomen und in grauer vorzeit ein buch geschrieben, das mir aus verschiedenen gründen im ersten drittel nicht, im zweiten gar nicht und im dritten so ok gefallen hat. für die damalige zeit (holofernes-blurb am backcover) war das wohl irgendwie repräsentativ und wichtig, trotzdem hat da die literatur mit dem p-wort halt doch schon sehr komisch gerochen.

grether als popjournalisten mag ich ja sehr. könnte ich mich dazu äußern, würde ich zu ihrem romandebut aber sagen, dass das zitat-dings z.b. bei volkmann einfach mehr spaß gemacht hat, dass dieses empflichkeits-erinnerungs-ich-ding halt doch doof ist, dass man damals ja angetreten war gegen genau diese 80er-themen-as-in-magersucht-romane (hätte ich vorher schon gewußt wie sehr so was nerven kann, hätte ich nie nie nie erwähnt, dass ich immer dicker werde), dass dieses wir-coolen-aber-eigentlich-armen-selbstausbeuter-ding nervt, dass ich andere female-gender-role-modells bevorzuge, dass da auf den letzten 30 seiten aber was passiert, was ich nicht beschreiben kann, was mich damit aber irgendwie versöhnt. versöhnt weil: naiv gelesen endlich alle langweiligen 150 seiten davor gerechtfertigt werden und und versöhnt weil: endlich klartext kommt:

"keiner macht es uns leicht, einfach nur frei zu sein. denn wir träumen davon, uns für die träume anderer zu eignen. möchte irgendwer uns bitte richtig einschätzen, äh, einsetzen? wir sind die musen des neoliberalismus - an uns sieht man, was man menschen alles antun kann.

hungern ist so erschöpfend, da erfindet man keine neuen soundmuster mehr. das überlässt man den ausnahmen, die die regeln bestätigen. bei so bands wie musabuse denken doch sowieso alle schon von vornherein: das ist eh nicht normal, was die mädels da machen - aber gut. lass uns halt ein bisserl was davon in unser system integrieren."


ein kurzer abschlusssexismus: man kann nicht immer nur jungsromane lesen. lest doch mal einen mädchenroman. und wer noch einmal sagt, mädchen können ja auch ganz gut schlagzeug spielen, schreibt bis morgen hundertmal "die genderkeule knechtet uns alle immer noch und im spätkapitalismus umso mehr" in schönschrift.

die abteilung gender und unbehagen des resort empfiehlt zur anschaffung für die heimische hausapotheke:

kerstin grether: zuckerbabies, ventil, mainz, 2.auflage 2004, 202 seiten

im julei kommt der spaß übrigens bei suhrkamp neu und kerstin grether damit wohl groß heraus.

Mittwoch, 15. Februar 2006

some different kind of glasperlenspiel

f. hat damals nicht verstanden, wie ich das meinte, dass man sich immer so schmerzhaft schämt, weil man immer so viel so schlechtes zeug raushaut und es deswegen aber trotzdem macht. t. hat mir gemailt, dass er wir-schlafen-nicht (doc, 24 KB) seinen geschwistern vorgelesen habe und dass es ihnen gefallen habe und dass es ein bisschen wie hesse sei.

Donnerstag, 2. Februar 2006

literaturhaus einmal anders

es wird zwar wahrscheinlich niemand aus dem resort-lese-publikum im märz in linz sein, aber dafür können wir uns alle an diesem bild ergötzen und die veranstaltung trotzdem allen ans herz legen, denn das sollte man gesehen haben.

Sonntag, 8. Jänner 2006

parolen wie fickt das system

matias faldbakken schreibt einen ausgezeichneten roman zur zeit, aber er gefällt uns nicht.

auf matias faldbakkens debütroman "the cocka hola company" konnten wir uns einigen. um dem feuilletonusus genüge zu tun: beidgebeder (man weiß nie, wie's man schreibt, wie die farbe, aber wie die farbe?) und houelle waren schnell als zwar-eh-nicht-so-aber-bisschen-schon brüder im geiste ausgemacht oder sagen wir es einmal so: hier hatten wir ein schönes stück literatur zur zeit und unterhaltsam und witzig war das auch, gab es in d so nicht oder kannten wir zumindest nicht.

2002 schoss faldbakken dann den zweiten teil seiner skandinavischen misanthropie nach und im vorjahr wurde er schon erbärmlich schlecht übersetzt und erschien bei blumenbar mit einem leider nicht ganz so schaurig-schönen cover wie der erste teil. hinrich schmidt-henkel, ansonsten nicht so unbekannt/scheiße im übersetzerbusiness kann nun aber nur zum teil was dafür, dass er hier so schlecht abgeliefert hat. faldbakkens liebstes stilmittel, das wortspiel-über-alles mit hang zum obszönen oder überhaupt allem, was eventuell gegen die grenzen irgendeines geschmacks verstoßen könnte, ist nunmal nicht so leicht zu übersetzen, oder wüßten sie ad hoc wie sie "fistfuck fart" eindeutschten ohne die alliteration zu zerschlagen?

nun hat der rezensent "grenzen" und "geschmack" nicht zum spaß erwähnt, sondern will damit in faldbakkens grundproblematik einleiten: natürlich kannst du kinderpornos mit rassismen würzen, aber damit wirst du auch nicht der "generellen haltung" entkommen, "die da heißt: provozierend? ach, diese ‚erschütternde’ aussage überleben wir auch noch, wie üblich. fundamentalkritisch? ach, die kritik wird einfach durch umarmung entschärft, wie üblich. innovativ? ach, die idee machen wir marktgerecht, wie üblich" (s.37). und nun eben dies macht rebel, die eine haupt- und identifikationsfigur, verzweifeln, dass es eine art hat. rebel würde ja gerne seinem namen gerecht werden, aber wogegen und wie, ohne dass es "die anderen" nicht eben doch tolerieren. den gefallen, rebel zu knechen, tut ihm leider keiner, lieber verkauft macht, die andere hauptfigur, sein authentisch-individualistisches dagegensein an konzerne, die neue zeichen mit brodem von underground immer brauchen können. klar, dass die beiden gut zusammenkönnen. rebel weiß, dass er auch nicht anders als sein blöder nachbar ist und ist deswegen lieber gar nicht und macht weiß, dass mit rebels wunsch anders zu sein, geld zu machen ist und so bilden "tausend toughe alternativen zusammengefügt mit dem leim des individualismus [...] immer nur wieder den guten alten mainstream" (s.317). adbusting ist jetzt vorbei, sozusagen.

gemeinsam ficken die beiden dann jedenfalls im auftrag eines bösen mainstream-konzerns eine minderheiten-underground-aktivisten-gruppe, indem sie die aktivisten einen bösen konzern ficken lassen, und das endet in einer schlusskampfszene zwischen nazi-migrantenkindern, porno-kindern, linksradikalen, hitlerredenflyern, amphetaminen, bullen, bücherverbrennung und dazwischen sehr vielen prozessen der signifikation. es ist ganz schön viel öl im zeichenkampf und das mit dem sand ist irgendwie way too 20th century. dazwischen kriegt noch jede mögliche haltung vorgeführt, dass sie nichts als eine mögliche haltung, also gar nichts ist.

nicht dass wir uns falsch verstehen: faldbakken sagt das richtige und das sehr gut. faldbakkens witz (aka zynismus (c) nzz), seine liebe zu listen, fiktiven buchtiteln und zu dem ganzen irrsinn ist nun sicher besser als der meiste andere mist, den man so lesen muss. würden wir es können, würden wir ungefähr so etwas schreiben, aber es gefällt uns nicht. "macht und rebel" ist eine äußerst genaue abschrift unserer welt, eine herrliche hassschrift auf "die kulturärsche, aktivistenärsche, die neoradikalen bastarde, kritischen theorie-penner, die slumkönige der progressiven musik, die bewohner der sinnstiftungsghettos, des großen zigeunerlagers von textproduzenten und gegenkultur-ratten" (s.89). und was passiert? dem feuilleton gefällts.

es geht uns wie rebel: "er ist unterwegs zu einem minderjährigen, problembeladenen mädchen, mit dem er danach höchstwahrscheinlich hemmlungslos vögel wird. er muss morgen nicht zur arbeit. er hat geld. er hat brandneue kleider, die ziemlich gut sitzen. er hat zu hause 138 gb freien speicherplatz auf seiner festplatte. sein handy ist voll aufgeladen" (s207). aber sein zustand ist nicht ok.

matias faldbakken - macht und rebel. aus dem norwegischen von hinrich schmidt-henkel (2005) 352 seiten, blumenbar

matias faldbakkens gleichfalls ausgesprochen lesenswertes debüt "the cocka hola company" ist 2003 ebenfalls bei blumenbar erschienen, die bei random house (bmg) erschienene hörspielfassung mit sprecherinnen wie julia hummer, olli schulz, angie reed, rocko shamoni, frank spilker u.a. wird von der creekpeople-resort-chefredaktion ohne kenntnis ausdrücklich empfohlen.

Montag, 2. Jänner 2006

Wir sind noch immer nicht wieder wer

Da war doch was im Radioprogramm der vorletzten Zeit mit „jung, deutsch & auf dem Weg nach oben“, also hat Astrid Vits 34 Bands und SolokünstlerInnen aus Deutschland interviewt und diese Standortbestimmung in Buchform veröffentlicht. Da in deutschen Popmusikkreisen Deutschland traditionell statt verstanden lieber gleich zerstört gewünscht wird, mag dieses Vorhaben, sagen wir einmal, merkwürdig erscheinen.

Die durchwegs interessanten, so repräsentativ ausgewählten, wie eine Auswahl von 34 Acts eben sein kann, um Bandkurzbios und Fotos ergänzten Interviews sind dann auch größtenteils bestimmt vom Gefühl: Teil dieser Jugendbewegung will ich nicht sein (aber alle anderen sind es). Die großen Abwesenden (Les Tocs, Blumfeld) bestimmen eben durch ihre Verweigerung dieses Poplandvermessungsprojekt mehr als alle anderen Bands. Ungefähr so Interessantes, wie man das a priori nach dem Schaffen der KünstlerInnen eingeschätzt hätte, sagen die jungen Menschen dann auch zu den alten Widersprüchen deutsche Poptexte, Indie/Major oder Gender/21. Jahrhundert. Man kennt das ja, Mittzwanziger wissen nicht, wie das gehen soll: Leben, Miete verdienen und Popmusik machen, die dazugehörige Rezessionsstimmung samt Rückzug ins Private kommt dann aus Funk und TV.

Schön kommt dabei auch heraus, wie jede völlig eigenständige KünstlerIn die anderen doch gerne in Lager einteilt, Musik aus HH ist von Berlin aus gesehen eben doch HH-Schule und die aus Köln oder gar Süddeutschland irgendwie auch. Die Alten fürchten die Jungen mit ihrem „die Zukunft ist das, wovor man sich fürchtet und es geht um unsere Gefühle“ und die anderen Jungen mit ihrem Ausverkauf und ihren Deutschlandfahnen und die Jungen sagen eben genauso zurecht, die alte HH-Schule ist vorbei, weiterindiewursteln wie das Grande Hotel ist auch falsch, also machen wir eben ganz neue Tanzmusik.

Der allerschönste Grabenkampf verläuft aber doch zwischen den postmodernen Diskurs- und Zitatbands (ganz alte HH-Schule) und diesem merkwürdig verschwurbelten, nicht mehr hinter die Erkenntnisse der so viel gedissten Postmoderne zurückgehen wollenden und könnenden Posthumanismus zum Beispiel Bernd Begemanns. BB, Höhepunkt des vorliegenden Bands, versucht scheinbar naiv nichts weniger, als eben den perfekten Song zu schreiben, der für ihn nicht darin besteht, die aktuellen Spielregeln Indietopias möglichst präzise außer Acht zu lassen, sondern in kleinen Erkenntnismomenten, wie dass zum Beispiel der Pur-hörende schnauzbärtige Nachbar möglicherweise ein besserer Mensch ist als ich mit meiner viel besseren Plattensammlung. Wie ich immer so schön sage: Auch das muss es geben.

Natürlich ist viel in Vits’ Interviewkonvolut auch langweilig (achso, zuerst nehmt ihr die Stücke immer roh auf und dann geht ihr damit ins Studio und nehmt sie richtig auf, soso), aber wegen all seiner Fragwürdigkeit ist dieser Versuch, auf den schon vor einem Weilchen vorbeigefahrenen Zug Neuere Deutsche Popmusik aufzuspringen und Pop aus D 2004 zu kartografieren, Pflichtlektüre für alle Anhänger der Musik des Satans und der Teilnehmenden meines irgendwann sicher abgehaltenen Seminars „Postmarxistische Kritik populärer Musik, die nicht so nervt wie Adorno“.

[edit: populäre musik und bücher sind aber alles nichts, wenn man nicht auch leute kennt, die einem die richtigen bücher leihen. dankeschön.]

Astrid Vits – Du und viele von deinen Freunden. 34 deutsche Bands und Solo-Künstler im Interview (2004) 528 Seiten, Schwarzkopf & Schwarzkopf

Mittlerweile ist übrigens auch ein zweiter Band mit neuen Interviews erschienen, den ich zwar noch nicht gelesen haben, aber das wohl noch tun sollte.

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