Montag, 2. Jänner 2006

Wir sind noch immer nicht wieder wer

Da war doch was im Radioprogramm der vorletzten Zeit mit „jung, deutsch & auf dem Weg nach oben“, also hat Astrid Vits 34 Bands und SolokünstlerInnen aus Deutschland interviewt und diese Standortbestimmung in Buchform veröffentlicht. Da in deutschen Popmusikkreisen Deutschland traditionell statt verstanden lieber gleich zerstört gewünscht wird, mag dieses Vorhaben, sagen wir einmal, merkwürdig erscheinen.

Die durchwegs interessanten, so repräsentativ ausgewählten, wie eine Auswahl von 34 Acts eben sein kann, um Bandkurzbios und Fotos ergänzten Interviews sind dann auch größtenteils bestimmt vom Gefühl: Teil dieser Jugendbewegung will ich nicht sein (aber alle anderen sind es). Die großen Abwesenden (Les Tocs, Blumfeld) bestimmen eben durch ihre Verweigerung dieses Poplandvermessungsprojekt mehr als alle anderen Bands. Ungefähr so Interessantes, wie man das a priori nach dem Schaffen der KünstlerInnen eingeschätzt hätte, sagen die jungen Menschen dann auch zu den alten Widersprüchen deutsche Poptexte, Indie/Major oder Gender/21. Jahrhundert. Man kennt das ja, Mittzwanziger wissen nicht, wie das gehen soll: Leben, Miete verdienen und Popmusik machen, die dazugehörige Rezessionsstimmung samt Rückzug ins Private kommt dann aus Funk und TV.

Schön kommt dabei auch heraus, wie jede völlig eigenständige KünstlerIn die anderen doch gerne in Lager einteilt, Musik aus HH ist von Berlin aus gesehen eben doch HH-Schule und die aus Köln oder gar Süddeutschland irgendwie auch. Die Alten fürchten die Jungen mit ihrem „die Zukunft ist das, wovor man sich fürchtet und es geht um unsere Gefühle“ und die anderen Jungen mit ihrem Ausverkauf und ihren Deutschlandfahnen und die Jungen sagen eben genauso zurecht, die alte HH-Schule ist vorbei, weiterindiewursteln wie das Grande Hotel ist auch falsch, also machen wir eben ganz neue Tanzmusik.

Der allerschönste Grabenkampf verläuft aber doch zwischen den postmodernen Diskurs- und Zitatbands (ganz alte HH-Schule) und diesem merkwürdig verschwurbelten, nicht mehr hinter die Erkenntnisse der so viel gedissten Postmoderne zurückgehen wollenden und könnenden Posthumanismus zum Beispiel Bernd Begemanns. BB, Höhepunkt des vorliegenden Bands, versucht scheinbar naiv nichts weniger, als eben den perfekten Song zu schreiben, der für ihn nicht darin besteht, die aktuellen Spielregeln Indietopias möglichst präzise außer Acht zu lassen, sondern in kleinen Erkenntnismomenten, wie dass zum Beispiel der Pur-hörende schnauzbärtige Nachbar möglicherweise ein besserer Mensch ist als ich mit meiner viel besseren Plattensammlung. Wie ich immer so schön sage: Auch das muss es geben.

Natürlich ist viel in Vits’ Interviewkonvolut auch langweilig (achso, zuerst nehmt ihr die Stücke immer roh auf und dann geht ihr damit ins Studio und nehmt sie richtig auf, soso), aber wegen all seiner Fragwürdigkeit ist dieser Versuch, auf den schon vor einem Weilchen vorbeigefahrenen Zug Neuere Deutsche Popmusik aufzuspringen und Pop aus D 2004 zu kartografieren, Pflichtlektüre für alle Anhänger der Musik des Satans und der Teilnehmenden meines irgendwann sicher abgehaltenen Seminars „Postmarxistische Kritik populärer Musik, die nicht so nervt wie Adorno“.

[edit: populäre musik und bücher sind aber alles nichts, wenn man nicht auch leute kennt, die einem die richtigen bücher leihen. dankeschön.]

Astrid Vits – Du und viele von deinen Freunden. 34 deutsche Bands und Solo-Künstler im Interview (2004) 528 Seiten, Schwarzkopf & Schwarzkopf

Mittlerweile ist übrigens auch ein zweiter Band mit neuen Interviews erschienen, den ich zwar noch nicht gelesen haben, aber das wohl noch tun sollte.

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driftwood - 2. Jän, 22:57

"Postmarxistische Kritik populärer Musik, die nicht so nervt wie Adorno“
Darauf freue ich mich schon.

assotsiationsklimbim - 3. Jän, 10:25

man wird, um mitmachen zu dürfen, die dialektik der aufklärung verbrennen müssen.
FrauMorgenstern - 12. Jän, 23:08

na warum denn nicht gleich.

assotsiationsklimbim - 13. Jän, 16:53

weil der chefredakteur hier das nicht mag, wenn man sachen zu subjektiv-erzählerisch behandelt.

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