Alles, wofür er bekannt ist, hat er nicht erfunden. Weder Mickey, noch Donald oder Pluto stammen aus seiner Feder. Nicht einmal der berühmte Schriftzug, der Kindern und Erwachsenen auf der ganzen Welt zum Symbol für Familienunterhaltung wurde, stammt von ihm. Walt Disney ist nichts als ein gemeiner Dieb. Dieser Meinung ist zumindest William Dantine, der Ich-Erzähler von Peter Stephan Jungks Roman-Biographie „Der König von Amerika“. Seit der Zeichner bei Disney gekündigt wurde, ist er von der Person Walt Disneys regelrecht besessen. Mit manischer Akribie sammelt er Informationen über das Leben Disneys, befragt Menschen aus dessen Umfeld, tut alles, um seinem Idol nahezukommen. In Dantines Bestrebungen spiegelt sich die Problematik der Gattung Biographie im Allgemeinen: Wie kann ein Text einer realen Person entsprechen? Was macht diese Person überhaupt aus? Eigentlich muss das Ziel einer Biographie, das Verstehen einer Person, fast zwingend unerreichbar bleiben. Mit dem Kunstgriff, den Ich-Erzähler als ordnende Instanz in einem Geflecht von mündlich tradierten Anekdoten und Begebenheiten einzusetzen, reflektiert und meistert Jungk gekonnt diese Problemstellung. Denn auch Dantine kann trotz eifrigster Recherche den Menschen hinter der Marke nie vollständig begreifen. Doch der Umstand, dass dieser Erzähler von Disney zu gleichen Teilen fasziniert wie auch abgestoßen wird, lässt für den Leser ein äußerst differenziertes Bild dieses „Königs von Amerika“ entstehen. Die Figur Disney wird kunstvoll demaskiert, aber nie bloßgestellt. Ein geglückter Blick hinter die Kulissen eines amerikanischen Mythos.
Peter Stephan Jungk: Der König von Amerika; (Suhrkamp Taschenbuch, €8,80, 243 Seiten)