Sonntag, 10. April 2005

Der König von Amerika

Alles, wofür er bekannt ist, hat er nicht erfunden. Weder Mickey, noch Donald oder Pluto stammen aus seiner Feder. Nicht einmal der berühmte Schriftzug, der Kindern und Erwachsenen auf der ganzen Welt zum Symbol für Familienunterhaltung wurde, stammt von ihm. Walt Disney ist nichts als ein gemeiner Dieb. Dieser Meinung ist zumindest William Dantine, der Ich-Erzähler von Peter Stephan Jungks Roman-Biographie „Der König von Amerika“. Seit der Zeichner bei Disney gekündigt wurde, ist er von der Person Walt Disneys regelrecht besessen. Mit manischer Akribie sammelt er Informationen über das Leben Disneys, befragt Menschen aus dessen Umfeld, tut alles, um seinem Idol nahezukommen. In Dantines Bestrebungen spiegelt sich die Problematik der Gattung Biographie im Allgemeinen: Wie kann ein Text einer realen Person entsprechen? Was macht diese Person überhaupt aus? Eigentlich muss das Ziel einer Biographie, das Verstehen einer Person, fast zwingend unerreichbar bleiben. Mit dem Kunstgriff, den Ich-Erzähler als ordnende Instanz in einem Geflecht von mündlich tradierten Anekdoten und Begebenheiten einzusetzen, reflektiert und meistert Jungk gekonnt diese Problemstellung. Denn auch Dantine kann trotz eifrigster Recherche den Menschen hinter der Marke nie vollständig begreifen. Doch der Umstand, dass dieser Erzähler von Disney zu gleichen Teilen fasziniert wie auch abgestoßen wird, lässt für den Leser ein äußerst differenziertes Bild dieses „Königs von Amerika“ entstehen. Die Figur Disney wird kunstvoll demaskiert, aber nie bloßgestellt. Ein geglückter Blick hinter die Kulissen eines amerikanischen Mythos.

Peter Stephan Jungk: Der König von Amerika; (Suhrkamp Taschenbuch, €8,80, 243 Seiten)

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jurijmlotman - 11. Apr, 15:35

das klingt plausibel, aber ...

... nur neugierige frage: ist der so virtuos an feuilleton-routine orientierte ton (" Ein geglückter Blick hinter die Kulissen eines amerikanischen Mythos." usw.) jetzt superraffinierte absicht (dann: alle achtung!) oder einfach passiert (dann: vorsicht)?

creekpeople - 12. Apr, 11:56

eigentlich...

... Absicht. Das ganze sollte ja auch eine kleine Fingerübung zum Thema Rezension sein. Trotzdem die Gegenfrage: Wäre der Satz wirklich schlechter, wenn er enfach nur passiert wäre?
jurijmlotman - 14. Apr, 17:35

selbst schuld ...

... muss ich also antworten: ja, doch. aber die begründung ist schwer.
sagen wir so: eigentlich ist der satz ganz klar unakzeptabel, ironisch oder nicht. merkwürdigerweise geht er hier in diesem text trotzdem, weil ...
... ja weil, vielleicht, es eine schon sehr ausgekochte (und wohl bezeichnende) anordnung ist, einen erkennbar ernstgemeinten text ohne starke ironiesignale einfach so, selbstverletzend sozusagen, beiläufig ins gemeinplatzige zu verfremden. das ist angenehm irritierend. im gegensatz etwa zu (meistens) stuckrad-ironie. eigentlich ist sowas ja furchtbar billig, als "ironisches kunststück". aber hier eben irgendwie gut.
jurijmlotman - 14. Apr, 17:37

und wenn ...

... sich nun herausstellte, dass das buch mist ist und alles bloß ein fingerfertiges kunststück, dann wäre ich ein naiver depp entlarvt, aber der text zugleich - unabhängig davon - schlecht.
creekpeople - 15. Apr, 10:31

könnte gut sein,...

... dass sich das herausstellt, wenn Sie das Buch lesen würden. Ich muss ja zugeben, dass ich den Autor live erleben durfte, ergo: etwas voreingenommen bin. Jungk kultiviert zwar, zugegeben, einen etwas altmodischen Stil, aber das Lesen tut nicht weh, sondern bleibt immer interessant. Das kann natürlich in so manchem subjektiven Empfinden auch den Tanz auf des Messers Schneide bedeuten... (in meinem natürlich nicht, weil ich mich laut assotsiationsklimbim sowieso zur reaktionären Schnarchnase entwickle)
creekpeople - 15. Apr, 10:47

Die Diskussion scheint im Übrigen nicht ganz neu zu sein: Perlentaucher hat Ähnliches vermeldet.
assotsiationsklimbim - 16. Apr, 20:07

meine worte waren, wenn ich mich recht erinnere, "viel zu wenig verschnöselt", aber so wie du es ausdrückst kann man es natürlich auch sagen.

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