Donnerstag, 4. August 2005

Kuscheln Pro

Nachdem die Diskussion nun schon seit tausend und einem Beitrag anhält, und in ebensovielen off-Resort Gesprächen schon die Forderung nach einem textlichen Ringen um die Gunst oder Ungunst des Wortes "Kuscheln" laut geworden war, hier mein Beitrag zu eben diesem Thema. Kuscheln Pro. Wie krank ist das denn - Ausgabe 15a.

Es gibt Worte, die den Kern der Sache treffen. Es gibt Worte, die so spezifisch sind, dass kein Synonym ihnen je nahe kommen könnte, die ihren Bedeutungsrahmen sanft über den eingefassten Sinnbezirk stülpen, ihn warm halten und abschirmen. Gleichzeitig gibt es Worte, die mitten durch die Brust ins Auge treffen, die so haarscharf am Ziel vorbeischießen, dass das Bedeutete in einem lieblichen Gewebe von Tangenten hängen bleibt, und um so genauer zu Tage tritt. Kuscheln fällt in die zweite Gruppe und räkelt sich dort, madig, eingespeckt. Kuscheln, das ist ein Haufen von Watte, den man auf der Suche nach einem harten Kern ewig drückt, ohne jemals der Weichheit zu entkommen. Kuscheln kommt von frz. coucher, „niederlegen, schlafen“, was nicht weiter überrascht, einerseits, weil die Franzosen die Romantik erfunden haben und andererseits, weil kuscheln eben nicht niederlegen heißt (Wurde an dieser Stelle schon einmal erwähnt, dass der Poststrukturalismus rockt?). Kuscheln heißt alles, was es eigentlich nicht heißt, verbindet sich mit allem, was man offen nicht ansprechen will, eröffnet auf der Stelle alle Sinnbezirke, die unseren sauber domestizierten Hirnen sonst nur hinter verschlossenen Vorhängen über die Lippen gehen. Denn wer kuscheln sagt, sagt auch Couch, gutes Essen, dekantierter Rotwein, Kerzenschein und Geigenklänge, Sternenhimmel, erster Kuss, Hochgenuss und Fruchtikus. Kurz: Kuscheln heißt „Vicken“ für Teletubbies – and that’s just why it tastes so great.

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driftwood - 5. Aug, 12:45

Obwohl Kuscheln Contra noch nicht zu lesen ist, behaupte ich mal, dass dir der wesentlich schwierigere Part zufiel. Eben weil kuscheln alles heißt, was es eigentlich nicht heißt und sich mit dem verbindet, was man nicht offen ansprechen will. Wie du so schön formulierst. Aber dann kommt der Teil mit dem Kerzenschein, dem Essen und dem Sternenhimmel und ich will am liebsten schreiend wegrennen. Nicht, weil ich was gegen Sterne und Kerzen habe, ganz und gar nicht, aber dieses Bild ist so zuckersüß, dass mir davon schon fast die Zähne davon wehtun. Die Couch soll stehen bleiben, aber statt der Geigen lieber der Ton von einem mießen Film im Fernsehn, gutes Essen sähe ich durch schlecht schmeckende Tiefkühlpizza ersetzt und zum Trinken gibt's auch nur warmes Bier: dann bin ich gerne Kuscheln Pro. Aber bei deiner geballten Ladung an Romantikklischees kommt in mir eher die Erinnerung an den zuvor erwähnten mießen Film im Fernsehen hoch, als an das "why it tastes so great".
[und ja, dass ich damit das schlimmste aller Romantikklischees vertrete, nämlich dass es nicht auf das "wo" oder "wie" sondern viel mehr auf das "mit wem" drauf ankommt, ist mir schon klar]

creekpeople - 8. Aug, 16:12

Contra contra pro

Zuckersüß, na sicher! Aber eigentlich gedachte ich durch die Schlussreihung des "Fruchtikus" der vorangegangenen Reihe an Romantikklischees eine leichte ironische Brechung hinzuzufügen. Denn auch wenn man, wie bei dir geschehen, die ganze Reihe von Klischees ersetzt, heißt das nur, dass "Kuscheln" als Wort doch mit einer Reihe von einigermaßen angenehmen Dingen in Verbindung zu bringen ist. So war das gemeint und nicht anders. Und das mag man mir als Harmoniesucht und den Rückzug ins Private auslegen - guess who gives a fruchtikus.
driftwood - 9. Aug, 13:07

@creekpeople:
Ja, das war mir schon klar, nur konnte ich mich nach jener Aufzählung einfach nicht mehr der angenehmen Seiten eintsinnen. Da half der Versuch einer ironischen Brechung auch nicht.
assotsiationsklimbim - 8. Aug, 13:44

@"es gibt worte, die den kern der sache treffen": ist mir jetzt erst aufgefallen, dass ich dich da mit derrida schon im ansatzargument totschlagargumentieren hätte können, aber sanftmütig-kuschelig-harmoniesüchtig wie ich bin, habe ich darauf verzichtet.

@"sternenhimmel etc.": bei mir war übrigens, wie mir jetzt bei der relektüre deines textchens gerade wieder eingefallen ist, die reihenfolge anders: rotwein (und dann noch dieses erdbeerzeug (claim!)), erster kuss, zigarette, kuscheln.

creekpeople - 8. Aug, 16:03

"Den Kern der Sache treffen" ist natürlich metaphorisch gemeint und daher nicht wirklich als Dreh- und Angelpunkt für etwaige Kuschelkontras zu gebrauchen.

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