Hinter Ziel
Jochen Distelmeyer genießt unter Teilen des Resorts und der Welt eine abgöttische Verehrung, die seinem über französische Theorie bestens informierten und von daher großen Geschichten wie "Verehrung" oder "Gesamtwerk" ablehnend gegenüber stehenden künstlerischen Schaffen eigentlich ebenso diametral entgegensteht, wie eben die Bezeichnung dessen als Gesamtwerk. Und doch bzw. genau deswegen lassen sich Distelmeyers mit Blumfeld veröffentlichte Platten dialektisch wieder als ein Gesamtwerk verstehen, das Distelmeyer schon lange in eine Position jenseits von Jedem gestellt hat, ein weit über "der deutsche Morrissey" hinausreichendes sich entledigen aller Rüstungen, das niemandem mehr beweisen muss, dass das keine Finte eines Peinlichkeit nicht mehr scheuenden, überkandidelten Popgockels mehr ist, irgendwem noch mit irgendeinem Style irgendetwas zu sagen. Von hier ist Reinhard Mey eine Option, aber sogar das tut nichts mehr zu Sache.
Mit "Heavy" ist Distelmeyer jetzt nach der Vollendung des Blumfeld-Gesamtwerks hinter allen Zielen. "Wohin mit dem Hass?" und "Lass uns Liebe sein", die beiden mit Videos ausgezeichneten Songs des Albums zum Beispiel sind beide ein zurück und ein vor, die Wiederkehr des immergleich Liedes. Und doch sind dies keine Einwände, die diese Songs treffen könnten. Wenn jemand wirklich alles kann, ist Varianz gleich komplex wie Invarianz. Einfachheit und Wiederholung sind am Ort, an dem Distelmeyer ist, ebenso erwartbar wie Komplexität und Abweichung (wovon denn noch?). "Heavy" muss nicht mehr anders sein, weil die Welt schon eine andere geworden ist. "Heavy" muss, wenngleich dies bizarrerweise ein häufiger Anspruch daran ist, nichts neu erfinden (wie auch niemand z.B. von der gleichfalls hervorragenden neuen Element of Crime - Platte etwas anderes erwarten würde, als was sie ist: eine hervorragende neue Element of Crime - Platte), weil es seine Stimme schon gefunden hat. "Heavy" ist Stillstand auf einem Niveau, auf dem es keinen Stillstand mehr gibt.
"Heavy" ist für sich genommen ein zur einer solchen glänzenden Meisterschaft gebrachtes Pop-Album (allein die Anordnung der Songs!), dass es völlig zum Kotzen wäre, wenn es nicht so nackt wäre. Es hat nichts mit "Heavy" zu tun, dass deutschsprachige Gitarrenmusik eigentlich nach Silbermond nicht mehr möglich ist. "Heavy" ist ein Ausweg daraus nach vorne ohne sich zu bewegen. "Heavy" ist wie "Year Of The Horse" - Musik ohne Richtung, Musik als Fläche. Musik, die größer ist als Geschmack. Distelmeyer kann jetzt endlich nur mehr Platten wie "Heavy" machen, die alle mögen können. Freude ist für jeden schön. Wer hätte je gedacht, dass wir einmal so siegen werden. Es gibt endlich keine Angst mehr, außer dass noch eine Platte von Jochen Distelmeyer erscheinen könnte, wenn wir schon tot sind.
Das ist aber alles vollkommen selbstverständlich. Alles, was zu "Heavy" gesagt wird, ist eine Lüge und Verrat. Be forwarned. Used to be an experience meant making you a bit older. This takes you someplace else.
assotsiationsklimbim - 28. Sep, 20:03 - Rubrik: ...we have the music
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