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Nachdem ich nun einige Tage Zeit hatte, beim Arbeiten über die Bloglesung nachzudenken und mir eine bereits geschriebene Kritik auf Grund menschlichen Versagens wieder im Äther verpufft ist, jetzt doch noch eine Anmerkung zu diesem Society-Event.
Erstens bin ich nicht sicher, ob ich die Meinung Lotmans teilen kann, wonach es dem Medium zuwiderlaufen würde, Blogs zum Vortrag zu bringen. Nach reiflicher Überlegung bin ich nicht einmal mehr sicher, ob sich nicht der umgekehrte Effekt eingestellt hat. Wenn ich davon ausgehe, dass Blogs eine narzisstische Komponente haben und jedes Bloggerchen bis zu einem gewissen Grad nach Selbstdarstellung strebt, dann bedient man genau diesen Mechanismus, indem man die Texte nun vortragen lässt. Das Bloggerchen darf endlich das Gesicht zum Pseudonym liefern und sich ungeniert ins Rampenlicht stellen. Die Tatsache, dass die Veranstaltung in einem Literaturhaus stattfand, wertete also vor allem das Individuum, den Blog-Autor, auf. Die Texte waren dabei eigentlich Nebensache (man vergleiche: Literaturfestivals), auch wenn bemerkt werden muss, dass manche Texte im Vortrag eher überzeugten als andere (ibid). Hauptsache war doch, einmal die Gesichter hinter dem Text zu sehen. Und es stellte sich zusätzlich das angenehme Gefühl ein, man kenne seinen Gegenüber schon, während man sich gerade vorstellte.
Bleibt die Frage, wie die Veranstaltung von Menschen rezipiert wurde, die nicht als Lesende beteiligt waren.
Erstens bin ich nicht sicher, ob ich die Meinung Lotmans teilen kann, wonach es dem Medium zuwiderlaufen würde, Blogs zum Vortrag zu bringen. Nach reiflicher Überlegung bin ich nicht einmal mehr sicher, ob sich nicht der umgekehrte Effekt eingestellt hat. Wenn ich davon ausgehe, dass Blogs eine narzisstische Komponente haben und jedes Bloggerchen bis zu einem gewissen Grad nach Selbstdarstellung strebt, dann bedient man genau diesen Mechanismus, indem man die Texte nun vortragen lässt. Das Bloggerchen darf endlich das Gesicht zum Pseudonym liefern und sich ungeniert ins Rampenlicht stellen. Die Tatsache, dass die Veranstaltung in einem Literaturhaus stattfand, wertete also vor allem das Individuum, den Blog-Autor, auf. Die Texte waren dabei eigentlich Nebensache (man vergleiche: Literaturfestivals), auch wenn bemerkt werden muss, dass manche Texte im Vortrag eher überzeugten als andere (ibid). Hauptsache war doch, einmal die Gesichter hinter dem Text zu sehen. Und es stellte sich zusätzlich das angenehme Gefühl ein, man kenne seinen Gegenüber schon, während man sich gerade vorstellte.
Bleibt die Frage, wie die Veranstaltung von Menschen rezipiert wurde, die nicht als Lesende beteiligt waren.
creekpeople - 24. Jän, 09:58 - Rubrik: Arbeitsgruppe Blogetristik
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taratorka - 24. Jän, 10:23
@letzteres: das würde mich auch interessieren. noch interessanter wäre es, zu wissen, für wie viele leute im publikum es tatsächlich das erste mal war, dass sie von blogs gehört haben. aber das hätte wohl kaum einer zugegeben
assotsiationsklimbim - 24. Jän, 14:36
ich will ja keine namen nennen, aber ich hatte die ehre, von meinem standplatz aus ganz gut die körpersprache von teilen des publikums beobachten zu können, die bei ichwilljakeinenamennennen in frenetischen applaus nebst jasoisessehrgut-murmeln ausbrachen, während sie den rest nunja, kopfschüttelnd aufnahmen. wir sind also schon auf fassungsloses unverständnis auch gestoßen, es hat also schon einen sinn gehabt.
taratorka - 24. Jän, 15:42
dann ist gut, weil ein bisschen reibungs-energie muss ja.
jurijmlotman - 31. Jän, 22:27
ich wollte ja nicht sagen ...
... dass es falsch ist, aus blogs zu lesen. im grunde gerade besonders richtig, weil dialektisch. aus widersprüchen lernen, indem man sie austrägt und ausstellt. das gesicht-zum-blog verdiente auch eine längere reflexion. was für das vorlesen spricht, sonst gäbe es die reflexionsebene ja nicht.
was natürlich auch stimmt: literaturlesungen sind ja selbst unmögliche veranstaltungen. bücher vorlesen: meistens absurd. nur dass im fall von "richtiger literatur" (meine erfahrung) die kluft & somit der erkenntnisgewinn geringer ist.
gibt es den fall, dass gescheite literatur durch mündlichen/visuellen vortrag gewinnt? wenn ja, inwiefern?
und wieso stimmt das überhaupt nicht für musik? also: warum ist musik aufführen auch dann praktisch nie auf diese weise unangemessen, wenn die sorte musik selbst eher introvertiert und "literarisch" ist? usw.
was natürlich auch stimmt: literaturlesungen sind ja selbst unmögliche veranstaltungen. bücher vorlesen: meistens absurd. nur dass im fall von "richtiger literatur" (meine erfahrung) die kluft & somit der erkenntnisgewinn geringer ist.
gibt es den fall, dass gescheite literatur durch mündlichen/visuellen vortrag gewinnt? wenn ja, inwiefern?
und wieso stimmt das überhaupt nicht für musik? also: warum ist musik aufführen auch dann praktisch nie auf diese weise unangemessen, wenn die sorte musik selbst eher introvertiert und "literarisch" ist? usw.
assotsiationsklimbim - 2. Feb, 13:19
eventuell gewinnt gescheite literatur, wie wir sie in den neunzigern eben hatten, die ja unter anderem durchaus auch auf verwechslung von autor und protagonisten ("kölner schule", früher goetz etc.) aufbaute durch den vortrag. zumindest suggerieren bilder / erzählungen von kracht-lesungen dies (der dauerrauchende, dezent und stilvoll an der welt leidende quasi als fortführung des im text aufgebauten "ichs", also sprich der selbe camp nochmal, nur "in echt", also nochmal eine schraube weitergedreht.) ferner würde ich noch gerne lesungen von joris-karl huysmans, bret easton ellis und oscar wilde sehen.
musik: habe ich auch schon oft als sehr falsch empfunden in der aufführung, wahrscheinlich, weil man die halt doch identifikatorischer liest und dann die kluft als zu groß empfindet. im besten fall geht da natürlich der selbe mechanismus los, wie ich ihn mir für eine kracht-lesung vorstelle, dass die kluft eben so tut, als wäre sie keine und sich dadurch erkenntnisgewinnbringend besonders deutlich zeigt.
musik: habe ich auch schon oft als sehr falsch empfunden in der aufführung, wahrscheinlich, weil man die halt doch identifikatorischer liest und dann die kluft als zu groß empfindet. im besten fall geht da natürlich der selbe mechanismus los, wie ich ihn mir für eine kracht-lesung vorstelle, dass die kluft eben so tut, als wäre sie keine und sich dadurch erkenntnisgewinnbringend besonders deutlich zeigt.
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